Viele Autoren und Texte haben mich beeindruckt und beeinflusst. Die folgenden drei Autoren verehre ich geradezu, denn ihre Romane sind eine wahre Fundgrube an Formenreichtum und erzählerischer Tiefe:


Mag sein, dass sein grosser und weitaus berühmterer Zeitgenosse Thomas Mann der strukturiertere und konsistentere Schriftsteller war, aber Mann wurde sehr viel älter, und er war nicht alkoholkrank wie Roth. In Zuckmayers Autobiographie kann man nachlesen, wie Roth, kurz vor seinem Tod, 1938 in Paris, betrunken zu Ödon von Horvaths Beerdigung kam, "mit bekleckertem Anzug, auf zwei jugendliche Bewunderer gestützt." Das ist die Tragik des Genies, wie sie sich wohl immer wieder abspielen wird. Aber im Radetzkymarsch, auf den eigentlich alle seine früheren Erzählungen und Romane hinsteuern, ist jeder Satz ein Nagelschlag, der fest in der Wand, im Holz sitzt; eine halbe Seite, und die gerade charakterisierte Figur steht vor einem. Und die Audienzszene, in welcher der Bezirkshauptmann vor den greisen Kaiser Franz Joseph tritt, um ihn um Gnade für seinen Sohn zu bitten, hat nichts ihresgleichen in der Literatur.

Es ist schon unglaublich, was dieser Mensch mitgemacht hat: Soldat im zweiten Weltkrieg, Arbeitslager in Sibirien unter Stalin, eine Krebserkrankung dort, die ihn fast das Leben gekostet hätte, dann hat der KGB sein ganzes Haus voll recherchiertem Material abbrennen lassen. Man muss sich an seine Romane erst gewöhnen, sie erscheinen auf den ersten Blick zuweilen langatmig und übertrieben "enzyklopädisch", aber wenn man sich an diesen Stil erst einmal gewöhnt hat, findet man eine solche Tiefe in seinen Romanen, ein solches Verständnis für menschliches Handeln und Leiden, dass man die Bücher nicht mehr so schnell aus der Hand gibt. Und unerreicht ist die Beschreibung der ersten Stunden der Untersuchungshaft eines der Protagonisten in der Moskauer Lubjanka am Ende des Romans "Der erste Kreis der Hölle".

Ein "Heiliger" tritt im 19. Jahrhundert auf im bettelarmen Nordosten Brasilien, wettert gegen die bürgerliche, säkulare Regierung im fernen Rio de Janeiro, und baut sich mit mehreren tausend militanten Anhängern eine "heilige" Stadt, die schliesslich von der brasilianischen Bundesarmee dem Erdboden gleichgemacht wird. Die Rahmenhandlung ist ein einziges Gemetzel, aber ich kenne kaum einen anderen Roman seit 1950, der die beteiligten Figuren in ihrer Hilflosigkeit und Tragik so eindringlich beschreibt. So ist ein brasilianischer Oberst, der im Auftrag der Regierung die erste Strafexpedition gegen die "heilige" Stadt leitet und zum ersten Mal im Nordosten ist, tief erschüttert von der unermesslichen Armut der Bevölkerung dort. Als er, auf seinem prachtvollen Pferd sitzend, zwei hungernde Bettlerkinder am Wegrand sieht, kann er natürlich nicht absteigen und den Kindern ein Almosen geben, das würde ihn vor seinen Soldaten blamieren, aber er möchte gerne doch irgendetwas machen. Also salutiert er mit seinem Degen vor den Kindern, und reitet verzweifelt und tief bewegt weiter. Das ist, finde ich, echte Literatur.